Es gibt zwei Arten von Leuten, die in Südostasien (SOA) Ferien machen.
Die Backpackerin und den Sextouristen.
Was machen die da?
Eine davon ist Anna. Hallo Anna!
Anna wacht auf, ihr Kopf ist vom gestrigen Abend noch etwas schwer. Wann kam sie schon wieder nach Hause? Wahrscheinlich so um halb drei… Sie tastet nach ihrem Telefon unter dem Kissen. 10:32. OK, alles gut. Anna ist noch nicht so ganz warm, schafft es aber, sich anzuziehen. Die Halskette, die sie vor drei Tagen auf dem Nachtmarkt gekauft hat, passt perfekt zu ihrer Elefantenhose.
Sie geht in die Lobby, wo bereits einige ihrer Hostelfreundinnen und -freunde rumhängen. Der Plan ist, einen Wasserfall in der Nähe zu besichtigen; Abholung ist in einer halben Stunde. Während ein Teil der Gruppe ein paar Häuser weiter gebratenen Reis holt, entscheiden sich andere für das vom Hostel angebotene, sehr mediokre Frühstück (verbrannter Toast und Butter). Das letzte Hostel war viel besser, aber man weiss nie, was man bekommt.
Ein Minivan mit einigen Dellen und ohne Sicherheitsgurte, dafür einem fröhlichen Fahrer, kommt, und sie steigen ein. Die Gruppe hat sich in Bangkoks berühmt-berüchtigter Khao San Road getroffen, und obwohl einige Leute kamen und gingen, blieb die Zusammensetzung in den letzten zwei Wochen relativ stabil. Sie reisten von Bangkok nach Chiang Mai, Chiang Rai und dann nach Laos. Während der 45-minütigen Fahrt zum Wasserfall besprechen sie, was sie in den nächsten Tagen unternehmen sollen. Simon möchte in der Stadt bleiben, da diese einiges an Aktivitäten bietet. Es gibt River Tubing, Parasailing, eine Lagune zum Schwimmen und Clubs ohne Ende. Laylah möchte „aus diesem ganzen Tourismus-Mist raus“ und zum nächsten Ziel reisen, wo natürlich noch nie jemand hingegangen ist.
Sie kommen am Eingang an, bezahlen die Gebühr, schauen sich den atemberaubenden Wasserfall an, sind aber ein wenig genervt, dass es so voll ist. Anna will ein gutes Foto und muss ein paar Minuten für den Instagram-Spot Schlange stehen. #blessed
Als sie um 16 Uhr von der Reise zurückkommen, buchen sie einen Parasailing-Ausflug und ein Busticket in die nächste Stadt. Beides kann im Hostel oder in einem der zahlreichen Reisebüros gekauft werden, die alle genau die gleichen Aktivitäten anbieten. Simon fragt sich, wie das funktioniert, jemand ruft jemanden an und zack – der Van ist da. Es ist etwas undurchsichtig, hat aber immer geklappt.
Abends verbringen sie ein wenig Zeit in der Lobby des Hostels und trinken im Supermarkt gekauften Schnaps. Anna versucht, ein ernsthaftes Gespräch über die Klimapolitik ihrer jeweiligen Länder zu beginnen, aber es nimmt nicht so richtig Fahrt auf. Weitere Leute aus dem Hostel betreten die Lobby. Einige davon hat sie definitiv schon einmal gesehen. War es in Chiang Mai? Oder in Pau, als sie die Mae Hong Son-Runde absolvierten? Sie kann sich nicht erinnern, aber was solls. Die Gruppe wächst auf eine Grösse von etwa 15 Personen an und sie brechen zur „Walking Street“ auf, einer Strasse voll mit Bars und Clubs, die sich primär an Touris richten. Sie tanzen und johlen zu den Evergreens, die hier jede Nacht zu hören sind.
Und das ist die Geschichte der Backpackerin.
OK OK, das war jetzt übertrieben. Aber: Es ist tatsächlich so, dass sich in der Backpacking-Crowd bestimmte soziale Dynamiken entwickeln, die sauspannend zu beobachten sind. Und während «Backpacking» im eigentlichen Sinne einfach Reisen mit einem Rucksack bedeutet (und so gesehen auch eine Pilgerin auf dem Camino de Santiaco einschliesst), ist Backpacken zum Synonym für eine bestimmte Art des Reisens geworden. Es geht um die romantische Vorstellung, sich in einem fremden Land zu verirren und «authentisch», individuell zu reisen. Etwas ganz Spezielles zu tun. Sich selbst zu finden.
Im Prinzip eine schöne Idee. Das Lustige ist, dass die Leute dieses Narrativ der Authentizität propagieren, während sie sich dem genauen Gegenteil hingeben. Besonders in SOA dominiert das die Backpackerszene. Nur wenige erkennen die Ironie darin.
Es gibt ja eine ganze Branche, die darauf aufgebaut ist. Hostels, Reisebüros, Clubs, Bars, Tagesausflüge, alles überall verfügbar. Reiseseiten wie Lonelyplanet, Blogs und zunehmend auch Instagram-Profile sorgen für Tipps und kulturellen Zusammenhalt nach innen und verbreiten das Narrativ nach aussen. So bildet sich eine gemeinsame Backpacking-Kultur. Hostels dienen als zentraler Treffpunkt für soziale Kontakte und bilden die Basis für jedes Abenteuer. Langzeit-Backpackerinnen und -Backpacker unterscheiden sich von Neulingen durch Kleidung (oft farbig und auffällig, mit Accessoires und den ikonischen-grässlichen Elefantenhosen). Erfahrene haben viele Geschichten parat und geniessen oft einen höheren Status, mehr Gesprächszeit und werden bei jeder Gruppenentscheidung konsultiert (z. B. wo und wann ausgehen). Natürlich ist das alles sehr informell und auch individuelles Selbstvertrauen spielt stark mit rein. Dennoch ist die Dynamik nicht zu übersehen, wenn man ihr Aufmerksamkeit schenkt. Ich fand es cool, weil es eine Art Spielwiese ist, wo man Gruppeneinfluss üben kann – ohne Risiko, eine wichtige Beziehung zu gefährden. Manchmal machte ich mit und versuchte eine Entscheidung zu beeinflussen, und manchmal lehnte ich mich zurück.
Die Szene propagiert auch kontinuierlich eine Reihe von Reisezielen, die wie rauspolierte Perlen entlang bestimmter Routen angeordnet sind. Die meisten beginnen ihre Reise in Bangkok. Dort gilt es, die erste Entscheidung zu treffen: Soll es die Südroute runter nach Malaysia, die Nordroute (Chiang Mai, Chiang Rai, Laos) oder die Kambodscha-Route nach Vietnam sein? Vietnam wiederum hat seinen klassischen Trail der Küste nach. Jede Route bietet hier und da ein paar Abstecher, und die Leute konnten stundenlang debattieren, welche «Geheimtipps» man aufsuchen soll – aber da es gar nicht so viele Optionen gibt (solange man die Bubble nicht verlassen will), ist keine davon abgelegen oder in irgendeiner Weise geheim.
Mein Tipp: Mal an einen zufällig auf der Karte ausgewählten Ort reisen, der abseits der üblichen Routen ist. Man trifft dann zwar nur wenige, aber dafür spannende Leute (sowohl Reisende als auch Locals, je nach Sprachbarriere). So ist es mir auf der US-Velotour ergangen, denn sie brachte mich an Orte, die gleichzeitig alltäglich und wunderschön waren – und für die sich niemand interessiert. Oder warst du schon mal in Hotchkiss, Colorado?
Es braucht nicht viel, manchmal reicht schon ein Tag: Dieses laotische Dorf liegt ausserhalb von Luang Prabang, der alten Hauptstadt von Laos voll mit Touristinnen und Touristen. Im Dorf hingegen wird mir die ganze Zeit zugewunken. Zwei Welten, getrennt durch acht Kilometer.
Jedenfalls, ich habe in Südostasien die Nordroute gemacht, aber «verkehrt» – ich bin in Vientiane (Laos) gelandet, nach Luang Prabang gereist und dann nach Thailand weiter. Das Tolle daran war, dass ich in jeder Stadt Leute wiedererkannte, die in meine Richtung gingen. Der Strom der Menschen in die entgegengesetzte Richtung war ohne Übertreibung zehnmal so gross. Von Chiang Mai aus kann man sich für den Mae Hong Son Loop entscheiden, einen wunderschönen mehrtägigen Roadtrip, der einen nahe an myanmarische Grenze führt. Die Leute sprachen begeistert davon, dass es „das Ding“ und „abseits der Massen“ sei. Mhm. Diejenigen, die von dort zurückkehrten, hatten eine Aura von Abenteurern, sie hatten es „geschafft“. Sie waren initiiert. Ich habe es ausgelassen. War ich überhaupt in Thailand?
Interaktion mit Einheimischen ist rar und transaktional, teils aufgrund der Sprachbarriere, aber vor allem auch, weil die Backpackerinnen und Backpacker primär unter sich bleiben wollen, auch wenn sie das Gegenteil sagen. Locals werden von manchen (zum Glück nicht von allen) auch idealisiert und wahlweise als „simpel, aber zufrieden“ oder „die wollen doch alle nur die Touris über den Tisch ziehen“ beschrieben. Mal daran gedacht, dass es einfach ganz normale Menschen sein könnten?
Und dann gibt’s noch die ganzen New-Age-Leute, die mit ihren Peace-Shirts und fünf Halsketten und Buddha-Tattoos rumtouren, Pillen runterkippen und über ihre Chakren reden und „wie happy die Leute in Asien sind, obwohl sie nichts haben“. Was für ein Quatsch.
Aber ich glaube, du hast die Message langsam verstanden und gähnst nur noch. Was auch immer Authentizität beim Reisen ist, das ist es nicht.
Aber hey: Wen kümmert das schon? YOLO. Viel Spass in Südostasien!