TL;DR: Ein paar Eindrücke, die die USA bei einem Westeuropäer hinterlassen haben.
Beobachtung 1: Die USA sind riesig. RIESIG
Und divers.
Die sogenannten „Lower 48“ der USA, die zusammenhängende Landmasse zwischen Kanada und Mexiko, umfassen eine Fläche von 8.080.464,3 km2. Zum Vergleich: Die EU kommt auf 4.233.255 km2. Das ist viel Land. Auch über 330 Millionen Menschen reichen nicht aus, um diese Fläche zu füllen. Somit liegen Siedlungen weit auseinander, insbesondere in den Great Plains, den Mountain States und den Wüstenregionen. Ich glaube, man kann sich die enorme Grösse des Landes nur bedingt vorstellen, wenn man es nicht besucht hat (oder eines der wenigen anderen Mega-Länder: China, Brasilien, Russland, Kanada, Australien und knapp noch Indien). Es gibt unzählige Ökosysteme, von Sümpfen über Regenwälder bis hin zu Wüsten.
Bevor ich hierherkam, hatte ich die Vorstellung, dass es sich um ein überwiegend englischsprachiges Land mit einer relativ homogenen Kultur handelt. Ich wusste natürlich, dass es schwarze, hispanische und asiatische Amerikanerinnen und Amerikaner gibt, doch wenn ich mir einen Amerikaner vorstellte, war er trotzdem weiss. Aber das wird dem Land nicht gerecht. Die Vielfalt der Hautfarben ist unglaublich, das kreiert eine ganz eigene Energie. Supercool! Und in New York, weit weg von Mexiko, fand ich Supermärkte, deren Angestellte Spanisch, aber kein Englisch sprachen. Ausserdem unterscheiden sich die Gliedstaaten teils stark in ihren Gesetzen, Steuersystemen und ihrer Wirtschaftsstruktur. Vielleicht nicht so sehr wie die europäischen Staaten, aber ich vermute, mehr, als die meisten Europäer denken.
Beobachtung 2: Die Ungleichheit ist unerträglich
Einerseits gibt’s Viertel mit Hunderten solcher Hütten:
Auf der anderen Seite siehst du Folgendes:
Nicht einmal, nicht zweimal – Obdachlosigkeit war überall und täglich zu sehen.
Sorry, Amerika: Das ist nicht normal. Offensichtlich ein kolossales Versagen der Gesellschaft und des politischen Systems. Wie kann es sein, dass in einem so reichen Land ein Teil der Bevölkerung in Elend lebt? Diese Menschen brauchen Hilfe, und zwar jetzt!
Beobachtung 3: Es könnte was schiefgehen? Egal
Noch nie habe ich so viele Menschen getroffen, die keine Angst davor haben, ihre Ideen zu verfolgen. Es gibt zum Beispiel wahnsinnig viele inhabergeführte Supermärkte, Waschsalons, Kleiderläden etc. Ein sichtbares Zeichen von Leuten, die ihr Ding machen. Ketten wie Starbucks, Walmart oder McDonalds existieren, dominieren aber nicht. Durch viele Gespräche habe ich gelernt, dass es total akzeptiert ist, Risiken einzugehen. Lust, Musik zu studieren? Broadway-Performerin zu werden? Ein neues Gadget zu entwickeln (und es Leuten zu verkaufen, die es garantiert nicht brauchen)? Go for it! Manchmal habe ich gesagt, ich wolle eine Bar eröffnen, obwohl ich Elektrotechnik studiert habe. Einfach, um die Reaktionen zu sehen. Die meisten antworteten so etwas wie „Ja Dude, mach es einfach! Das klappt schon. Wenn nicht, gibt’s immer irgendwo eine offene Tür.“ Scheitern ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen dafür, dass man den Mut hatte, etwas auszuprobieren. Außerdem werden Einsatz und Erfolg gefeiert und nicht argwöhnisch zerredet. Das hat mich wirklich beeindruckt.
Die Kehrseite ist Beobachtung 2: Wenn du auf der Strasse landest, muss es offensichtlich an dir liegen. Denn mit einem Business zu scheitern ist kein Problem für deinen Ruf, nicht zu arbeiten jedoch schon (zugegeben etwas vereinfacht). Manche Leute vergessen, dass dir dummes Zeug passieren kann und dass strukturelle Ungleichheit existiert. Wenn wir Amerikas Risikokultur mit einem Wohlfahrtsstaat nach europäischem Modell kombinieren könnten, wäre das der Hammer!