TL;DR: Zur Seite, Amerika – hier kommt Japan!
Am 27. September setze ich nach Japan über, wobei ich wegen der Datumslinie am 28. ankomme. Mein Hostel liegt im zentralen Tokioter Bezirk Shinjuku und ist gleich mal so richtig japanisch: Es hat Kapselbetten und ein Dusch-WC, das einem praktischerweise den Hintern reinigt. Anfangs ein ungewohntes Gefühl, werde ich die Funktion mit der Zeit mehr und mehr nutzen. Kurz erkunde ich die Umgebung, doch schon bald fallen mir fast die Augen zu und ich gehe um 19:30 ins Bett. Ich schlafe wunderbar. Das Kapselbett bietet mehr Ruhe als ein Kajütenbett und fühlt sich wie ein eigenes Mini-Zimmer an.
Die nächsten Tage erkunde ich Tokio – mit 40 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern die grösste Metropolregion der Welt! Die ersten Eindrücke sind: Wow, hat das viele Leute hier! Wow, alles Mögliche piepst und tönt hier – vom Bankomaten bis zur Ampel. Wow, alle sind ja mucksmäuschenstill in der U-Bahn!
Am Abend will ich Ramen essen gehen. Die Restaurants, sogenannte Ramen-Shops, sind klein, dafür an jeder Ecke zu finden. Sie haben eine Theke, an der so ungefähr 10 Leute sitzen können, dahinter die offene Küche. Meist hat es nicht mehr als 2 Köche/Köchinnen. Bestellen muss man an einem Verkaufsautomaten, aber das weiss der «Gaijin» (Ausländer) natürlich nicht und läuft direkt zur Theke. Der Koch zeigt Richtung Tür. Hm? Ich verstehe nicht, was er meint, denn mein ungeübtes Auge erkennt nicht sofort, dass dieser Kasten ein Automat ist. Zum Glück sitzt im Restaurant eine des Englischen mächtige Dame, die mir das Prozedere erklärt. Gerne würde ich danach mit ihr plaudern, doch sie ist auf dem Sprung.
Ein paar Tage später treffe ich mich mit Taiki und Futo, die als Austauschstudenten ein Jahr lang im Bülachhof gewohnt haben. Wir gehen unter anderem Sushi essen. In vielen Sushirestaurants fährt das Sushi auf einem Förderband umher, wie es das auch in der Schweiz gibt. Nicht so in dieser Sushi-Kette: Futo und Taiki erzählen, dass es hier zu einem Vorfall gekommen sei, wo jemand Utensilien abgeleckt und Sushi betatscht habe. Schono grusig. Darauf hat das Lokal kurzerhand eine neues Fördersystem installiert. Jetzt bestellt man mit einem Tablet und kurz darauf kommt das Sushi angerollt. Ein Heidenspass! Wir essen Sushi, bis wir nicht mehr können, bezahlen zu dritt aber nur 3200 Yen, etwa 20 CHF.
Taiki und sein Mami Tomoko laden mich auch zu sich nach Hause ein, in einer Vorstadt von Tokio. Nach einer waschechten Rush-Hour-Erfahrung werde ich mit einem wunderbaren Znacht verwöhnt, mit Miso-Suppe, Reis und glasierten Süsskartoffeln. Danke vielmals!
Nach neun Nächten geht’s weiter nach Kyoto, einer der wenigen japanischen Städte, die im zweiten Weltkrieg verschont wurden. Ausserdem war sie – vereinfacht gesagt – fast tausend Jahre lang Japans Hauptstadt. Sie gilt deshalb als Zentrum für traditionelle japanische Architektur. Ich treffe dort auf meinen langjährigen Freund Reto und seine Freundin Rikako, die zufälligerweise auch in Japan unterwegs sind. Unter anderem besuchen wir den Fushimi-Inari-Schrein, der tausende sogenannte Toriis aufweist (japanische Tore aus Holz und Stein). Ausserdem zahlreiche Gräber und Fuchsstatuen, da Inari die Göttin des Reises und der Füchse ist. Weil das sehr «instagrammable» ist, hat es jede Menge Touris sowie entsprechende Geschäfte, was dem heiligen Ort leider eine etwas kommerzielle Atmosphäre verleiht. Und Japans Getränkeautomatenflut hat auch hier nicht Halt gemacht – zwischen Gräbern, Kerzenaltaren und heiligen Schreinen kann man sich jederzeit ein Cola gönnen. Den Abend verbringen wir mit Sushi und Karaoke, wobei wir alle etwas müde sind und nur noch «dumm schnurren» können. Aber in der Karaokebox gibt Reto ein paar der neuesten Pop-Hits zum Besten. Er kennt sich da wirklich aus und bringt es erst noch rüber. Ein super Tag!
In Osaka, der nächsten Stadt, treffe ich auf meinen Studienfreund Martin und Ella, sie sind ebenfalls zusammen und ebenfalls in Japan unterwegs. Ein paar dichte Tage also. Sie haben im Gegensatz zu mir beide ein Händchen für Kulinarik. «Du musst hier unbedingt Matcha Latte probieren», sagt Ella (ein Milch-Grüntee-Gemisch). «Okonomiyaki», sagt Martin (ein Pfannkuchen, der am Tisch gebraten wird). Beides ist fein! Essen spielt bei ihrer Reise eine wichtige Rolle, und sie googeln oft die örtlichen Spezialitäten. Ich komme mir dagegen völlig ahnungslos vor. Aber es ist ein inspirierendes Beispiel, wie Menschen sich gegenseitig ergänzen können, wenn sie zusammentreffen. (Meine Aufmerksamkeit liegt eher bei der Architektur bzw. dem Städtebau. So gehe ich z.B. in jeder Stadt auch in ein normales Wohnquartier, um zu sehen, wie dieses strukturiert ist. Hat es Parks? Wohntürme oder Einfamilienhäuser? In welchem Zustand sind Brücken, Gehwege, Trams, Spielplätze? Wirkt es verwaist oder lebt das Quartier?)
Das Eindrücklichste, was wir hier sehen, ist «Don Quijote» oder Donki, ein Warenhaus mit einer so trashigen Aufmache, dass es schon wieder kunstvoll ist. Preisschilder werden wohl von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst gebastelt. J-Pop-Geschmetter füllt den Raum. Verkauft wird alles Mögliche, von irgendwelchem Plastik-Katzen-Deko-Schrott über Elektronik bis zu Louis-Vuitton-Taschen. Aber selbst die Luxusabteilung sieht aus, als hätte man achtlos Regale und Vitrinen aufeinandergestapelt. Obwohl alles total zusammengebastelt aussieht, steckt hinter diesem Look wahrscheinlich sehr viel Arbeit. Und die zahlt sich aus, die Warenhäuser sind waschechte Touristenmagneten geworden.
Nach den drei Städten ist mir nach etwas Abwechslung zumute, und ich gehe nach Matsumoto ins Landesinnere. Die Region ist ein Wandergebiet, auch als «Japanische Alpen» bekannt. Es ist das Wochenende des Hamas-Überfalls, und im Hostel sind überraschenderweise 8 von 20 Gästen Israelis, die natürlich alle völlig am Boden sind, teilweise Bekannte verloren haben. Es gibt viele Diskussionen. Alle sind sich einig, dass die Hamas weg muss. Ich werde gefragt, wie Israel in der Schweiz gesehen wird. Einer meint, in Europa gebe es viel Antisemitismus. Ich antworte, dass ich das nicht verneinen kann, aber selbst keine Antisemiten kenne. Ausserdem sage ich, dass die Siedlungspolitik im Westjordanland absolut falsch sei und dies das Bild von Israel durchaus negativ beeinflusse. Aber es ist natürlich auch klar, dass so ein Terrorangriff eine Antwort erfordert. Gopf, es ist einfach nur entmutigend… Gleichzeitig erfahre ich auch einiges über die israelische Gesellschaft. Wusstest du, dass Zionisten und Charedim (Ultraorthodoxe) zwei völlig verschiedene Gruppen sind? Ich nicht.
Insgesamt bin ich vier Wochen in Japan und besuche diverse Orte, von Hakodate im Norden über Hiroshima bis nach Fukuoka und Kagoshima «ganz unten» (Geografie-Flashback, anyone?). Nach Matsumoto wird die Reise für gute zwei Wochen etwas einsamer, es hat irgendwie nicht mehr so viele Leute in den Hostels, und es regnet oft. Aber ist auch mal ok.
Ein Highlight zum Abschluss ist eine Wanderung auf den Aso, den aktivsten Vulkan Japans. Mit dabei sind Russ und Nate, die ich im Aso Backpackers treffe. Es ist bestes Wetter – einmal mehr. Schon in Dover und in Laguna Beach war es so – offenbar will jedes Land einen guten letzten Eindruck hinterlassen 😉 Am 26. Oktober nehme ich die Fähre nach Busan in Südkorea. Tschüss Japan!
P.S.: Der Shinkansen ist ein unglaubliches Stück Engineering 😀 Gratulation Japan, gut gemacht!