TL;DR: Ein Wochenende lang fahre ich Überland nach Denver, eine Stadt am Ostrand der Rockies. Im Greyhound sitzt eine Menge interessanter Persönlichkeiten. In Denver kaufe ich die nötige Ausrüstung, um die Velotour starten zu können.
Auf dem Weg zur Bussstation steige ich ein paar Stationen zu früh aus. Ein letztes Mal durch die Strassen New Yorks laufen und staunen. Schon bald bin ich im Bus und sehe die Skyline verschwinden. Tschüss, NYC! Du verrückter Betondschungel!
Neben mir sitzt Samantha, eine 47-jährige Frau aus Roanoke, Virginia, die jetzt aber in Philadelphia lebt und in New York Wochenaufenthalterin ist, sie arbeitet im Spital und hat zwei Kinder, jaja es gehe ihnen gut, aber der Ältere habe lange mit den falschen Leuten rumgehangen, irgendwann bei einem Einbruch mit Körperverletzung erwischt, jetzt sei er schon seit zwei Jahren in der Kiste, noch drei mehr, das sei natürlich hart für sie, aber er habe halt auch Mist gebaut, zum Glück könne er jetzt eine Ausbildung zum Schreiner machen… und ob ich eigentlich wisse, wie schön Pennsylvania sei und wie fein ihr Rhabarberkuchen und überhaupt etc etc etc. Nach einer Stunde weiss ich schon ziemlich viel über sie, sie jedoch nichts über mich, denn kaum sage ich einen Satz, nimmt sie den gleich auf und spinnt den Faden weiter. Es macht mir jedoch nichts aus, ich bin bestens unterhalten. Wir kommen in Philadelphia an, sie wünscht mir noch viel Spass in Washington (hä?) und steigt aus.
Es wird Nacht und etwas ruhiger. Manchmal gibt der Busfahrer was durch, aber der Lautsprecher scheppert, ich verstehe kein Wort. Egal, ich muss eh noch lange nicht raus. Irgendwo im Nichts steigt ein Saudi-Araber ein, der kein Englisch spricht. Er ist in ungefähr meinem Alter und wirkt nervös. Per Google Translate fragt er mich und etwa zehn andere, ob dieser Bus nach Columbus fahre, bis er versichert genug ist. Über dieselbe App tauschen wir mehr schlecht als recht ein paar Worte, dann setzt er sich neben mich und schläft nach kurzer Zeit an meiner Schulter ein. Ich lasse es geschehen und höre Musik.
In Columbus, es ist inzwischen 5:00 morgens, wird der Bus ausgetauscht, wir müssen alle raus und unser Gepäck fassen. Der Saudi ist wieder ganz hibbelig, offenbar weiss er nicht recht wohin, aber irgendwann findet ihn seine Kollegin und Friede Freude Eierkuchen. Ich betrachte die wartenden Menschen. Hier ist eindeutig Working Class unterwegs. Keine teuren Kleider, keine künstlich aufgehübschten Gebisse. Wer kann, fährt Auto oder fliegt. Manche sehen aus, als kämen sie direkt von der Strasse. Obwohl mir Amerikas innere Gegensätze nicht unbekannt waren, ist es doch was anderes, es in echt zu sehen. Schon in New York ist es mir mehrfach so ergangen – einerseits wilder Glamour in Manhattan, andererseits ein U-Bahn-Wagen Richtung Bronx, in dem ausser mir keine einzige weisse Person ist (bis zum letzten Stop in Manhattan sind alle Weissen ausgestiegen, während fast alle Schwarzen/Latinas drinblieben. Ein bedrückender Moment, in dem die Segregation sichtbar wurde. Ich möchte mich nicht als Antirassismus-Aktivist aufspielen, das war ich nie. Aber trotzdem ist klar: Hier läuft was falsch).
Aus dem Busfahrer wurde inzwischen eine Busfahrerin, und weiter gehts durch flaches Land. Fast immer geradeaus, hie und da unterbrochen durch eine S-Kurve, um einer Fabrik auszuweichen. Es geht durch ungezählte Kleinstädte, dann wieder durch ein grösseres Zentrum. Die Vorstädte sind riesig, aber locker gebaut, so dass man möglichst viel Auto fahren muss. Die Autobahn führt immer weiter und weiter, scheinbar ohne je zu enden, ewig zieht sie sich zum Horizont. Die USA sind gigantisch, nicht nur Ost-West, sondern auch Nord-Süd. Gegen Abend komme ich in St. Louis an, wo ich kurz den weltberühmten Gateway Arch anschaue. Nach einer Nacht im Hotel geht’s am nächsten Nachmittag weiter.
Wieder kuriose Leute. Wieder geradeaus. Jemand will mit mir über Jesus sprechen. Eine weitere Nacht im Bus. Einmal gibt’s für 100 km keine einzige Kurve. Das Land ist schon seit ungefähr 1500 km topfeben («Great Plains» heisst die Region), und jetzt hat es auch keine Bäume mehr. Je westlicher, desto dünner die Besiedlung. Seitenstrassen zweigen alle rechtwinklig ab. Während ich durch diese Landschaft cruise, die Augen keinen Halt finden, höre ich «Bakerman» von Laid Back.
Irgendwann tauchen die Rocky Mountains am Horizont auf, und danach die Skyline von Denver. Endlich! Ich bin jetzt 2700 km von New York entfernt (gleich weit wie Warschau-Lissabon). In Denver kümmere ich mich die nächsten Tage um ein Velo und Ausrüstung. Es dauert, weil ich möglichst viel gebraucht kaufen will. Aber ich finde ein Velo, und aus einer Laune heraus taufe ich es Sepp (Martin, ja, es hat mit dem Namen deiner Katze zu tun). Sepp und ich werden ab sofort viel Zeit miteinander verbringen. Am Freitag, eine Woche nach dem Ende des Barkeeperkurses, kann die Tour beginnen!