Cocktales

TL;DR: In diesem Post geht es nicht um irgendwelche Cocks, die ich in den USA vielleicht oder vielleicht auch nicht gesehen habe. Sondern um die vier Wochen European Bartender School, wo ich Cocktails mixen lerne.

Nach ein paar Tagen Sightseeing fängt am Montag, 10. Juli, die Barkeeperschule EBS an. Schon am Samstag davor können wir einchecken. Unterkunft und Schule liegen etwa 25 Minuten Fussweg auseinander, beide in Brooklyn. Es gibt zwei Wohnungen mit jeweils 16 Betten. Vier Betten pro Zimmer. Am ersten Abend sind alle noch etwas verhalten, wir hängen im (engen) Wohnzimmer rum, es gibt immer wieder betretenes Schweigen. Das wird sich bald ändern. Fast alle kommen übrigens aus Europa, nur jemand aus Kanada und zwei aus Südamerika.

Am Montag 10:00 werden wir in der Schule feierlich begrüsst, wir bekommen gleich mal Shots in die Hand gedrückt, es läuft «Empire State of Mind». Die New-York-Hymne schlechthin. Wie oft ich diesen Song inzwischen schon gehört habe – besonders um den Times Square… Aber die Stimmung passt!

Ich frage mich, ob ich die nächsten vier Wochen in einem Dauerzustand alkoholischer Dämmerung verbringe. Denn schon am zweiten Morgen beginnen wir um 10:30 mit der Cocktailproduktion. Jemand mixt einen Drink, die anderen können mit Röhrchen probieren, und dann darf/muss sich der/die Jemand am Getränk erfreuen. Ob das wohl den ganzen Tag so weitergeht?

Nicht ganz. Nach den ersten drei Tagen wird es strukturierter. Jeden Tag müssen wir 6 Rezepte lernen. Diese werden am nächsten Morgen in der sogenannten «live bar» nach oben beschriebenem Muster gemixt und getrunken. Danach gibt es Theorie, und am Nachmittag werden wir in drei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe mixt die Drinks in der «practice bar», wo alle Flaschen mit gefärbtem Wasser gefüllt sind. Eine zweite übt «free pour», das richtige Abmessen der Zutaten direkt aus der Flasche, ohne Jigger. Die dritte ist mir «Flair» beschäftigt, Flaschenjonglieren und so. Nach 45 Minuten wird rotiert. Schon nach kurzer Zeit merke ich: Das wird intensiv! Besonders das Rezeptelernen nehme ich zu Beginn nicht sehr ernst. Aber insgesamt 66 Cocktails mit allen Zutaten, Mengen, Methoden, Glastypen etc. auseinanderzuhalten, stellt sich als schwieriger heraus als gedacht, und ab der dritten Woche muss ich jeden Abend 1.5-2 Stunden auswendig lernen. Nicht unmöglich, aber man muss es halt eben wirklich auch machen.

Denn Ablenkung gibt es genug. Keine Barkeeperschule ohne Saufen! Am ersten Freitag ist geplant, mit der ganzen Schule auszugehen. Schon beim morgendlichen Drinkmixen wird klar: Heute wollen sich alle die Kante geben. Shots werden verteilt, wenn man einen Fehler macht oder die Zutat nicht weiss. Ich bin schon am Mittag hinüber. Am Nachmittag bleibe ich trocken, bevor wir uns dann in die Nacht stürzen.

Am Morgen bin ich schon ziemlich ausgenüchtert und bringe eine Gruppe von sechs mittel- bis sturzbetrunkenen Leuten nach Hause. Mehr als Schneckentempo ist nicht möglich. Ausserdem kommen wir an einem Berg an Autoreifen vorbei. Jemand muss natürlich einen mitnehmen und ab sofort haben wir einen Reifen im Wohnzimmer.

Manche stürzen im Verlauf des Kurses jeden einzelnen Abend ab, insbesondere im duckduck, unserer Stammbar zwischen Schule und Unterkunft. Ich bewundere diese Energie. Andere arbeiten in der Gastro oder wollen reinkommen und nutzen den Kurs als ernsthafte Weiterbildung, das ist eine positive Überraschung. Ich hatte vor allem sauflustige 21-Jährige erwartet, aber wir haben eine echt gute Mischung hier. Ausserdem ist ein Drittel der Teilnehmerinnen französischsprachig. Ich spreche hier in den USA mehr Französisch als in den letzten fünf Jahren zusammen.

Alles in allem ist es sehr intensiv, es läuft ständig irgendwas. So viel, dass die meisten von New York gar nicht soo viel sehen, abgesehen von den ikonischen Sehenswürdigkeiten und ein paar Bars und Clubs (diese dafür umso öfter). Obwohl ich diesen Gruppenvibe sehr mag, ist es mir auch wichtig, New York zu entdecken. Deshalb löse ich mich regelmässig von den Gruppenaktivitäten. Das reibt sich ein bisschen. Es wird zwar problemlos akzeptiert, aber ich bin halt einfach häufig nicht da, wenn die Geschichten entstehen, die beim nächsten Frühstück verkatert erzählt werden. Ich merke: Diese Schule ist ein 100%-Ding. Ich kann mich entweder voll in die Gruppe reingeben oder die Stadt so ausgiebig erkunden, wie ich möchte. Beides geht nicht. Wenn einen Städte so interessieren wie mich, dann würde ich raten: wähle lieber einen coolen Ort, den du schon kennst, dann bist du weniger abgelenkt. Das gilt sicher für EBS, aber wahrscheinlich auch für andere Kurse.

Die letzte Woche besteht aus Prüfungen. (Selbst da geht der harte Kern JEDEN Tag saufen, wirklich beeindruckend). Theorie, Rezepte, praktische Prüfung an der Bar. Auch wenn ich schon härtere Prüfungen erlebt habe: Geschenkt wird einem das Zertifikat nicht. Etwa ein Viertel fällt durch.

Nach einer letzten durchfeierten Nacht heisst es am 4. August Abschied nehmen. Schön wars! Eine geniale Zeit, ich hatte enorm viel Spass und traf auf die unterschiedlichsten Leute. Viele sind so begeistert, dass sie sich im Oktober in Berlin an einer Barkeeping-Messe wiedersehen. (Barkeeping ist eine richtige Subkultur, von deren Vernetztheit ich bisher keine Ahnung hatte. Die Leute kennen sich, treffen sich an Messen und organisieren Wettbewerbe. Es gibt auch «Star-Barkeeper», die z.B. besonders gut in Flair sind). Manche fangen kurz nach dem Kurs einen neuen Job in einer Bar an. Alles Gute!

Noch am selben Abend steige ich in den Greyhound.

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